Pressemitteilung
des Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung vom 19.Mai 2020
Ob
Pflug oder Kühlschrank, immer wieder haben Innovationen in den letzten
Jahrtausenden die Art und Weise verändert, wie wir Lebensmittel anbauen,
verarbeiten und konsumieren. Heute, wo fast 40 Prozent der gesamten Landfläche
der Erde zur Nahrungsmittelerzeugung genutzt wird, hat unsere Ernährung massive
Auswirkungen auf Klima und Umwelt – vom Stickstoff-Kreislauf bis zur
Wassernutzung, von der Artenvielfalt bis zu den Treibhausgasemissionen. In
einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Food veröffentlicht
wurde, hat ein internationales Forscherteam jetzt bewertet und kategorisiert,
welche Innovationen das Potenzial haben, das Ernährungssystems nachhaltig zu
verändern und was für ihren Erfolg entscheidend ist – von künstlichem Fleisch
und Meeresfrüchten über bioangereicherte Nutzpflanzen bis hin zu verbesserten
Klimaprognosen.
Von
der Erfindung des Rades bis zum Kunstdünger, Innovationen haben seit jeher
unser Ernährungssystem geprägt. Und die Landwirtschaft hat wiederum unseren
Planeten geprägt. In letzter Zeit jedoch nicht nur zum Besseren, stellt
Alexander Popp, einer der Autoren der Studie und Leiter der Landnutzungsgruppe
am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), fest: „Mithilfe von Stickstoffdünger
wurden die Erträge erheblich gesteigert und Millionen Menschen aus dem Hunger
befreit – aber wenn zu viel davon in die Natur gelangt, können ganze Ökosysteme
zusammenbrechen. Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung, eines enormen und
steigenden Ernährungs- und Nährstoffbedarfs und eines rapide schrumpfenden
Spielraums innerhalb sicherer planetarer Grenzen zu bleiben, müssen wir also
auch Innovationen identifizieren, die das Ernährungssystem so umgestalten
können, dass es nachhaltig wird und gleichzeitig mehr Menschen ernährt. Und es
gilt herauszufinden was es braucht, damit diese Innovationen sich durchsetzen
können.“ Zu diesem Zweck haben die Autorinnen und Autoren eine drei
Jahrtausende umspannende technologische Sichtung durchgeführt, von vergangenen
Erfolgen wie dem Pflug oder dem Gewächshaus bis hin zu Innovationen, die noch
nicht eingeführt sind. Letztere stehen im Mittelpunkt, denn die Forscher wollen
die Frage beantworten, auf welche Karten die Gesellschaft setzen sollte.
„Wir
betrachten Transformation als einen Prozess des systemischen Wandels. Das
bedeutet, dass wir nicht nur Technologien analysieren, sondern auch Werte,
Politik und Regierungsführung. Durch diese Brille haben wir betrachtet, welche
Innovationen es weltweit gibt, wie man sie kategorisiert und wie einsatzbereit
sie sind“, erklärt Mario Herrero von der Commonwealth Scientific and
Industrial Research Organisation in Australien. Die Forscher betrachten
Innovationen in zehn Bereichen des Nahrungsmittelsystems wie der Lebensmittelverarbeitung,
der Genetik, der digitalen und sogar der zelluläre Landwirtschaft. Die
Innovationen als solche sind wiederum sehr breit gefächert und reichen von
Ersatz für Fleischprodukte oder Meeresfrüchte über bioangereicherte
Nutzpflanzen bis hin zu verbesserten Klimaprognosen. „Zu den Dingen, die
derzeit in den globalen Forschungslaboren gedeihen, gehören sehr
fortschrittliche Elemente wie Insekten als Nahrungs- oder Fleischersatz, aber
auch hochwirksame Grundlagenforschung wie die Verfeinerung der
Photosynthese“, erläutert Herrero. So wird etwa aktuell untersucht, wie
die Sonnenenergie bei der Photosynthese noch effizienter genutzt werden
könnte.
Das
richtige Klima für Änderungen im Konsumverhalten
„Die
Entwicklung einer neuen Technologie allein reicht noch nicht aus, um einen
tiefgreifenden Wandel im Ernährungssystem einzuleiten“, sagt Mitautor Benjamin
Bodirsky (PIK). „Innovationen brauchen auch die richtigen politischen
Bedingungen und gesellschaftliche Akzeptanz, damit sie zum Erfolg werden
können. Pflanzliche Fleisch- und Milchersatzprodukte sind ein gutes Beispiel
dafür. Die Rezepte für Seitan, Sojamilch oder Tofu gibt es schon lange. Aber
erst in den letzten Jahren, mit dem steigenden Bewusstsein der Verbraucherinnen
und Verbraucher für Fragen der Umwelt, der Gesundheit und des Tierschutzes, ist
ein Klima für Verhaltensänderungen entstanden – und die Unternehmen sehen die
Geschäftschancen: Sie sind dabei, die Technologien zu verfeinern und die
Produkte schmackhafter und günstiger zu machen. Und der letzte Schub könnte
dann kommen, wenn die Umweltverschmutzung einen Preis bekommt, der etwa die
wahren Kosten eines Burgers aus Rindfleisch gegenüber einem Erbsenburger
offenlegt. Fleisch auf pflanzlicher Basis wird unser Ernährungssystem grundlegend
verändern, und diese Transformation läuft jetzt gerade an.“
Johan
Rockström, Direktor des PIK und Mitautor der Studie, fasst zusammen: „Die
Vorgabe des Pariser Klimaabkommens, die globale Erwärmung auf deutlich unter
Zwei Grad zu begrenzen und das UN-Nachhaltigkeitsziel Hunger bis 2030 ein Ende
zu machen, gibt uns klar die Richtung vor. Diese Forschungsarbeit zeigt uns
jetzt nicht nur, wie wir diese Richtung einschlagen können, sondern gibt
uns auch die Zuversicht, dass es tatsächlich zu schaffen ist. Wir können die
Menschheit innerhalb planetarer Belastungsgrenzen ernähren: Dafür müssen wir
den Boden bereiten, indem wir entsprechende Rahmenbedingungen für nachhaltige
Innovatoren und Akteure setzen, die Veränderungen in der gesamten
Lebensmittelindustrie bewirken können, wie etwa die Bepreisung von Kohlenstoff
und Stickstoff, sowie wissenschaftlich fundierte Ziele für nachhaltige
Lebensmittel. Auf diese Weise können wir einen nachhaltigen Wandel hin zu einer
sicheren und gerechten Ernährungszukunft für alle Menschen auf der Erde in Gang
setzen.“
Artikel:
Herrero, M.,
Thornton, P., Mason-D’Croz, D., Palmer, J., Benton, T., Bodirsky, B. L.,
Bogard, J., Hall, A., Lee, B., Nyborg, K., Pradhan, P., Bonnett, G., Bryan, B.,
Campbell, B., Christensen, S., Clark, M., Cook, M., de Boer, I., Downs, C.,
Dizyer, K., Folberth, C., Godde, C., Gerber, J., Grundy, M., Havlik, P.,
Jarvis, A., King, J., Loboguerrero, A., Lopes, M., McIntyre, C., Nylor, R.,
Navarro, J., Obersteiner, M., Parodi, A., Peoples, M., Pikarr, A., Popp, A.,
Rockström, J., Robertson, M., Smith, P., Stehfest, E., Swain, S., Valin, H.,
van Wijk, M., van Zanten, H., Vervoort, J., West, P.(2020): Innovation can
accelerate the transition towards a sustainable food system. Nature Food.
[DOI 10.1038/s43016-020-0074-1]
Link zum
Artikel nach Veröffentlichung: https://www.nature.com/articles/s43016-020-0074-1
Frühere
PIK-Forschung zu dem Thema:
- Ilje
Pikaar, Silvio Matassa, Benjamin L. Bodirsky, Isabelle Weindl, Florian
Humpenöder, Korneel Rabaey, Nico Boon, Michele Bruschi, Zhiguo Yuan,
Hannah van Zanten, Mario Herrero, Willy Verstraete, Alexander Popp (2018):
Decoupling Livestock from Land Use through Industrial Feed Production
Pathways. Environmental Science and Technology
[DOI:10.1021/acs.est.8b00216], Pressemeldung dazu hier.
- Ilje
Pikaar, Silvio Matassa, Korneel Rabaey, Benjamin L. Bodirsky, Alexander
Popp, Mario Herrero, and Willy Verstraete (2017): Microbes and the Next
Nitrogen Revolution. Environmental Science & Technology 51 (13):
7297–7303. https://doi.org/10.1021/acs.est.7b00916.