Von Straußen und Landeiern

Im nächsten Jahr feiern Silke und Dietmar Joesten mit ihrer Straußenfarm Westprignitz 20-jähriges Jubiläum. Ein Besuch vorab gibt Einblick in das Leben mit dem Vogel-Strauß

Text & Fotos Silvia Passow

Gustav hat den absoluten Überblick. Den aufmerksamen Augen in etwa 2,50 Meter Höhe entgeht nichts. Das weiß auch Dietmar Joesten, er mahnt zur Vorsicht. Schnabel und Füße des prächtigen Hahns sind rot, ein Zeichen dafür, dass Gustav auf der Balz ist, erklärt Silke Joesten. Die beiden Hennen im Gehege beglücken ist sein Job, er hält den Zuchtbetrieb am Laufen.  Gustav ist der älteste Hahn auf der Farm und passt schon sehr lange in keinen Korb mehr. Joesten behandelt ihn mit einer gehörigen Portion Respekt. Denn so etwas wie schlechte Laune und Angriffslust sieht man den Tieren nicht unbedingt an, erklärt er. Sie treten aus heiterem Himmel zu. Einen solchen Tritt hat Joesten vor einiger Zeit von einem anderen Hahn abbekommen. „Hätte der mich im Bauch getroffen, hätte das tödlich enden können“, sagt Joesten. So kam er mit einer schmerzhaften Erinnerung davon.

Ungefähr 80 Vogel-Strauße hält das Paar auf seiner Straußenfarm, am Rande der Prignitzer Kreisstadt Perleberg. Es waren schon mal mehr als doppelt so viele, erzählt Dietmar Joesten. Auf 13,5 Hektar Land, hält das Paar auch einige Kälber und Mini-Schweine für den Eigenbedarf. Die Straußenfarm ist Erholung, Leidenschaft und Nebenerwerb für das Paar. Beide stammen aus Perleberg, beide kommen aus landwirtschaftlich geprägten Familien. Für beide gehört die Tierhaltung zum Leben dazu, sagen sie. Morgens um fünf Uhr beginne sein Tag und endet gegen Mitternacht, berichtet der 66-jährige, der als Immobilienmakler tätig ist. Silke Joesten arbeitet im Einzelhandel. Den Hof, mit Hofladen, bewirtschaften sie gemeinsam.

Dietmar Joesten gehört zu jenen Menschen, die nicht wirklich gut stillsitzen können. Er brauche die Beschäftigung, sagt er. Das Sofa allein sei ihm zu langweilig. Und er habe schon immer dazuverdient. Bereits zu DDR-Zeiten, als er bemerkte, dass es in den umliegenden Restaurants an Petersilie mangelte, zog er das Kraut selbst. Erntete es und lieferte vor der Arbeit an die Restaurants aus. Auf den Strauß kam er, als er Straußenfleisch probierte und vom Geschmack begeistert war. Der Genuss führte zu den ersten Straußvögeln auf dem Hof.

Zusammen mit seinem Sohn errichtete er die vielen Gehege. Es gibt den Straußenkindergarten, gleich beim Haus. Dann ein Gehege für die heranwachsenden Tiere und die Jugendlichen, zu erkennen an den unterschiedlichen Fellkleidern. Im Alter zwischen elf und achtzehn Monaten werden die Tiere geschlachtet. Nun verfügt Perleberg über ein großes Schlachthaus, doch auf den Strauß ist man dort nicht eingerichtet. Joestens schlachten auf ihrem Hof, dafür hat Dietmar Joesten ein eigenes Schlachthaus gebaut. „Das ist sogar in Brüssel gemeldet“, sagt er lachend und erzählt, wie aufwendig das Erfüllen aller Kriterien für die Hofschlachtung ist. Werden die Tiere geschlachtet wiegen sie zwischen 80 und 90 Kilogramm und geben rund 30 Kilogramm Fleisch ab.

Strauße sind auf der Farm nicht die einzigen Tiere, Kälbchen gibt es auch

Joesten sagt, dass er sich sein Wissen um den Strauß stückweise erarbeiten musste. Es gibt nicht allzu viele Straußenfarmen in Brandenburg. Die Veterinärmediziner kennen sich eher mit Schwein und Rind aus, weniger mit dem großen Laufvogel, berichtet er weiter. Und so eignete er sich sozusagen einen Strauß an Wissen an.

Die Besonderheiten des Vogel-Strauß beginnen bereits im Ei. Das Küken hat keinen Eizahn, anders als die meisten gefiederten Kollegen. Es muss sich mit Muskelkraft aus dem Ei sprengen. Schafft es das nicht, hilft Dietmar Joesten. Doch anders als Entenküken, die ihrem Geburtshelfer eine gewisse Verbundenheit entgegenbringen, sind Strauße in dieser Beziehung eher vergesslich und bauen keinerlei Bindung auf. „Sie sind ohnehin nicht besonders helle“, sagt Joesten. „Stellt man im Gehege die Tränke um, brauchen die schon mal drei Tage, um dies zu merken“, sagt er.

Über die Wiesen marschieren und von den Lebensgewohnheiten der Strauße erzählen, gehört für Dietmar Joesten zum sommerlichen Programm. Die Farm wird von Bus-Touristen besucht, das Paar bietet Camping-Stellplätze an, Besucher werden gern über den Hof geführt. Im Hofladen können Produkte rund um den Strauß gekauft werden. Schinken, Salami, Bratwurst, Leberwurst, Fleisch vom Strauß, Eierlikör vom Straußenei und Federn, gibt es solo oder in dekorativen Präsentkörben. Aus den Straußeneiern gefertigte Lampen gehören ebenfalls zum Sortiment. Mit den Produkten der Straußenfarm fährt Silke Joesten regelmäßig auf die Regionalmärkte der Region, verkauft wird auch auf Veranstaltungen wie der Brandenburger Landwirtschaftsmesse in Paaren-Glien. „Viele Leute achten auf das regionale Produkt“, sagt Dietmar Joesten. Und so haben man auch viele Stammkunden aus der Umgebung. Die schätzen die Qualität der Ware und sie können sehen, wie es den Tieren geht, berichtet der Straußenfarmer.

Für das Paar Joesten ist die Beschäftigung mit der Straußenfarm eine Herzenssache. Ungefähr 4 bis 5 Stunden tägliche Arbeitszeit für Jeden von ihnen geht in die Straußenfarm. Eine Verpflichtung und gleichzeitig Erholung vom Job. „Zu Hause ankommen ist durchatmen“, sagt Silke Joesten, auch wenn es hier munter weitergeht mit der Arbeit. Sie liebe das Landleben und die Beschäftigung mit den Tieren, erzählt sie und sagt: „Oh ja, wir sind richtige Landeier.“

Das bestätigt auch ihr Gatte. Spaß habe er mit den Tieren auch, sagt Dietmar Joesten. „Nur leben würde ich davon nicht wollen. Wir schreiben zwar schwarze Zahlen aber leben kann man davon nicht“, sagt er. Dazu kommt, wie überall müssen auch die Joestens mit mehr Energie-Kosten rechnen. Sparen können sie dabei kaum, der Inkubator zum Eier ausbrüten braucht Strom und die Rotlichtlampen für die Küken sind ebenfalls notwendig. Dennoch, tauschen will das Paar nicht. Urlaub, weite Reisen, Silke Joesten sagt, sie vermisse das nicht. „Wir haben doch das hier“, sagt sie und lässt den Blick über die Wiese mit den anmutig tanzenden Straußen-Vögeln wandern.