Mit Spielzeugmuseum, Kinderbuchmuseum, Schloss und idyllischen Schlossgarten ist Kleßen der märchenhafteste Ort im Havelland
Text & Fotos von Silvia Passow
Gerade erst wurden Spielzeugmuseum und Kinderbuchmuseum mit dem Wirtschaftsförderpreis des Landkreises Havelland ausgezeichnet. Vollkommen zurecht, findet die Blaue Holzbiene. Dieser Ort ist besonders, denn er verbindet Nostalgie mit Entdeckerfreude auf kleinsten Raum vergeht spielend die Zeit und egal wie das Wetter mitspielt, dieser Ausflugtipp ist, man könnte sagen, „drei-wetter-taft“.
Er will doch nur spielen
Unter dem Dach der ehemaligen Dorfschule in Kleßen schlummern das Kasperle, das Krokodil und der Räuber in einer Kiste. Das Theater steht daneben und wer das Kasperletheater politisch spielen möchte, kann zur Frau-Merkel-Puppe greifen. Die Stühle sind bereits aufgereiht, das Spiel kann beginnen. Im Spielzeugmuseum in Kleßen steht Spielzeug nicht nur hinter Glas, es kann auch gespielt werden. Mit dem Kasper oder der Modeleisenbahn. Eines haben alle Spielzeuge hier gemeinsam. Ihnen fehlt das Batteriefach, um sie zum Leben zu erwecken, bedarf es spielerischer Lust.
Die Freude am Spielzeug hat sich Frithjof Hahn bis heute erhalten. Der 44jährige Kunsthistoriker leitet das Spielzeugmuseum seit 2011, das 2006 seine Holztüren öffnete. Im Mittelpunkt der Sammlung steht Spielzeug aus den Jahren 1870 bis 1960, ein Schwerpunkt ist DDR-Spielzeug. Und so haben besonders Familien, die das Museum mit mehreren Generationen besuchen großen Spaß. Denn manch Spielzeug wird garantiert Erinnerungen wecken.
Deutsche Spielwaren waren früher Exportschlager und die Spielwaren-Industrie ein wichtiger Wirtschaftszweig, erläutert Hahn. Die Stadt Brandenburg galt früher als DIE Spielzeugstadt. Spielzeuge in den Kinderzimmern auf aller Welt kamen aus der Stadt an der Havel.
Schon im ersten Raum wird sichtbar, wie detailgetreu Spielzeug gebaut wurde. Eisenbahnen stehen in der Vitrine, die eine ganze Wand in Anspruch nimmt, mit Loks ab dem Jahr 1890. „Die Eisenbahn wurde früher unter den Weihnachtsbaum aufgebaut“, erklärt Hahn. Bekannt sind Fotografien und Zeichnungen, auf denen Kinder unter der festlich geschmückten Tanne mit dem Schienenspielzeug spielen. Die Spielwelt gibt Einblicke in die Gepflogenheiten der Zeit, in der Vitrine steht die Miniatur eines Kissenverleih. Das Leihkissensystem war auf den harten Holzbänken bestimmt gefragt und entsprach den Gepflogenheiten der damaligen Zeit. Nur wenige Schritte weiter liegen bunte Kreisel hinter dem Glas. Kreisel galten als Alltagspielzeug, sie wurden mit nach Draußen genommen, sagt Hahn. Auch der Kreisel verrät einiges über seine Zeit. „Zum Spielen mit dem Kreisel braucht es Platz auf der Straße. Das würde bei dem Autoverkehr heute gar nicht mehr funktionieren“, sagt Hahn.
Es sind gerade diese Alltagsspielzeuge, die das Museum sucht. Das Teure, „für Gut“ aufgehobene, als wertvoll verstandene, wurde gehegt und landet dann auch schon mal im Museum. Der Kreisel mit der abgeblätterten Farbe im Müll. Hahn freut sich über jeden weiteren Kreisel.
Zum selber aufbauen sind die ab 1960 verbreiteten Anker-Steinbaukästen. „Eine Art Lego-Vorläufer“, erklärt Hahn. Es gibt Bauanleitungen für eindrucksvolle Prachtbauten. Fehlen darf auch die Puppensammlung nicht. Käthe-Kruse-Puppen und Schildkröt-Puppen, damals schon wertvoll. Das Sockenmusterbuch für die Puppenmutter gehört sicherlich zu den zauberhaften Kuriositäten seiner Zeit. In sieben Räumen auf 2 Etagen lassen sich die Spielwaren aus vergangenen Tagen bewundern. In die ehemalige Lehrerwohnung in der oberen Etage, führt allerdings nur eine Treppe. Das Museum ist nicht barrierefrei.
Sie liebt die märchenhaften Geschichten
Nur wenige Meter hinter der ehemaligen Dorfschule ist das Kinderbuchmuseum in einem ehemaligen Wohnhaus für Gutsmitarbeiter untergebracht. In fünf Ausstellungsräumen geht es um die Geschichte der Kinderbücher. Das älteste Exemplar ist von 1712, das älteste illustrierte Kinderbuch, sagt Jochens. Damals sollten die Bücher für die Jüngsten keineswegs unterhalten. Sie hatten erzieherischen Charakter, sollten den Kindern Betragen und Bildung vermitteln. Birgit Jochens aus Berlin ist die Ausstellungskuratorin, sie hat die Sammlung von Hans-Jürgen Thiedig gesichtet und im 2020 eröffneten Museum zur Geltung gebracht. Aus über 1000 Kinderbüchern musste sie dabei auswählen, nun zeigt die Ausstellung beeindruckende Bücher aus 300 Jahren Kinderbuchgeschichte. Fibeln sind dabei, bekannte Kinder- und Märchenbücher. Auch hier entdecken Besucher bestimmt bekannte Werke, Bücher aus der eigenen Kindheit, die zum Träumen brachten oder das Fürchten lehrten. Oder die einer ganzen Generation Trost spendeten. So wie die Geschichten von den Wurzelkindern. „Die Wurzelkinder waren bei vielen Kriegskindern bekannt. Damit träumte sich eine ganze Generation in eine bessere, vor allen sichere, Welt“, sagt Jochens.
Die Sammlung widmet sich auch aktueller Märchen-Interpretationen. So zum Beispiel dem Berliner Künstler Henrik Schrat, der Grimms Märchen mit neuen Illustrationen versieht. Um Märchen geht es auch in der jährlich wechselnden Sonderausstellung. Märchen, die weiterverbreitet sind als gedacht, so kennt offenbar die halbe Welt das Rotkäppchen und den Wolf, wenn auch in abweichenden Varianten. Und noch mehr märchenhaftes gibt es zum Abschluss, denn wer will kann verweilen und in einer Auswahl an Büchern die Nase stecken und in zauberhafte Welten eintauchen.
Märchenhaftes Lustwandeln
Oder den Schlossgarten erkunden. Gleich hinter dem schmiedeeisernen Tor steht die Eiche, unter der vielleicht sogar Theodor Fontane schon gesessen hat. Der Schriftsteller besuchte Kleßen bei seinen Reisen durch die Mark Brandenburg im Jahr 1889. Um 1725 sollen die Eiche und auch die Linde gegenüber, gepflanzt worden sein. Beide sind Naturdenkmale und während die Linde innen schon recht hohl ist, sieht die Eiche saftig und gesund aus. Das Gutshaus oder Schloss gehörte einst zum Besitz deren von Bredow. Das Adelsgeschlecht hat nahezu in jedem Dorf im Havelland seine Spuren hinterlassen, meist in Form von Gutshäusern.
Sehenswert ist die Hecke im Topiary-Formschnitt. Die Schnitttechnik ist besonders in England beliebt, erklärt Jochens, die durch den Garten begleitet. In hübsch angelegten Rabatten blüht und duftet es süß und fruchtig, die Kombination aus Blumen, Kräutern und Früchten kennt man eher aus den Schlossgärten der Schlösser an der Loire. Auf einer Wiese hinter dem Schloss laden Sitzecken zum Verweilen und Genießen ein.
An den Wochenenden wird von den Museen ein kleines Café mit einer Auswahl an Gebäck betrieben. Ansonsten muss der hungrige Gast zurück nach Friesack oder für weitere Abenteuer ins Lilienthal-Centrum Stölln, wo es eine Pizzeria gibt.
Spielzeug- und Kinderbuchmuseum können von Mittwoch bis Sonntag und an Feiertagen von 11 bis 17 Uhr besucht werden. Der Besuch für ein Museum kostet für Erwachsene 6 Euro, für 8 Euro gibt es ein Kombiticket. Kinder von 6-14 Jahren können für 3 Euro in beide Museen. Die Familienkarte für maximal zwei Erwachsene und vier Kinder kostet 11 Euro für ein Museum, für 15 Euro können beide Museen besucht werden. Für den Besuch des Schlossgartens in den Museen melden.