Bambis Schutzpatronin heißt Elsa

Die Rehkitzretter Brandenburg retten Tierbabys das Leben, heimlicher Star ist die Drohne ELSA

Mit Technik und Herz suchen die Freiwilligen Helfer der Rehkitzrettung Brandenburg die Wiesen vor der Mahd ab. Die zentrale Rolle übernimmt Elsa, die Drohne. Doch ohne das Zusammenspiel von Landwirten, Jägern und ehrenamtlichen Helfern könnten nicht so viele Kitze, wie in diesem Jahr gerettet werden. 119 Tierbabys haben sie vor einem grausamen Ende auf der Wiese bewahrt

Text von Silvia Passow, Fotos Lutz & Silvia Passow 

Wenn der Tag erwacht

Ein Hauch von Tageslicht liegt über der Wiese, die Luft ist klar und kalt. Noch steht der Mond hoch am Himmel, ein Fasan ruft, im Graben geben die Frösche ihr morgendliches Konzert. Der Morgen ist noch so unverbraucht, es könnte ein guter Tag werden.

Für die Pferde ist der frühe Besuch erstaunlich, neugierig kommen sie näher

Willkommen auf der Wiese

Acht freiwillige Helfer haben sich in aller Frühe versammelt, ihre Mission, Rehkitze einsammeln, bevor der Landwirt die Wiese mäht. Die freiwilligen Helfer gehören zur Rehkitzrettung Brandenburg, mit dabei, Vereinsgründer und Drohnenpilot Frank Neumann aus Dallgow-Döberitz im Havelland. Er erinnert an die letzte Flugreise, wenn er für alle hörbar die Flugzeit angibt. Immerhin, niemand muss den Sitz in eine aufrechte Position bringen. Liegen wäre um diese Zeit, es ist etwa 3.30 Uhr am Morgen, auch wirklich fatal. 

Im Takt der Drohne

Zweierteams formieren sich, einer trägt ein Funkgerät um den Hals, jeder hat eine Kiste und rot-weiße Flatterleine dabei. Ein Moment der Überwindung, denn das Gras der Wiese steht hüfthoch und wie sich nach dem dritten Schritt zeigt, es ist nass. Nicht nur ein bisschen feucht vom Tau, sondern richtig nass und schon bald sehr, sehr kalt. Oben dreht die Drohne Elsa surrend ihre Runden, langsam arbeiten sich die Zweierteams durch die Wiese. Die großen Halme machen es den Füßen schwer, unmöglich zu sehen, worauf der Fuß treten wird. Was neben der schmalen Schneise liegt, die die Teams in die Wiese laufen, bleibt das Geheimnis der Wiese. Mühsam heben sich die Füße, Halme legen sich wie Fußangeln um die Knöchel, achtsam setzen die Teams ihren Weg fort, schauen, lauschen angespannt.

Verharren auf der Wiese, den Geräuschen der Nacht lauschend, den Duft der Gräser genießen, Fotos machen und gespannt auf die Stimme aus dem Funkgerät erwarten

Die Stille wird durch ein kurzes Schnarren, gefolgt von Neumanns Stimme, unterbrochen. Er hat mit Elsas Hilfe etwas entdeckt, Kathrin ist der Drohne am nächsten, sie folgt seinen Anweisungen, Schritt für Schritt, bleibt stehen, bückt sich. Wieder schnarrt das Funkgerät. „Kein Kitz, eine Liegestelle. Sie ist noch warm“, lässt sie die Gruppe wissen. Elsa surrt davon und unten nehmen sie wieder ihre Positionen ein. Wieder kündigt das Schnarren im Funkgerät Neumanns Stimme an. Die Drohne hat etwas entdeckt, diesmal ist Lutz dem vermuteten Rehkitz am nächsten. „Nach vorn, nach vorn, langsam weiter nach vorn, etwas nach links“, dirigiert Neumann und Lutz folgt. „Nun stehen bleiben und schau mal direkt vor dir“, gibt Neumann Anweisung. Und diesmal ist es ein Rehkitz, klein, zerbrechlich, hilflos liegt es in der Wiese. Lutz stülpt die Kiste über das Kitz, damit es nicht fortspringt. Er schaut kurz auf, die Augen glänzen vor Freude, Kathrin nähert sich.

So klein und zart, sie sind rasch zu übersehen, die kleinen Rehkitze

Während es für Lutz die erste Begegnung mit einem Rehkitz ist, ist Kathrin bereits seit zwei Jahren im Team. Um zu vermeiden, dass der menschliche Geruch auf das Kitz übergeht, tragen alle im Team Einweghandschuhe. Zusätzlich rupft Kathrin Gras ab, legt es in die Kiste, behält viele der langen Halme in den Händen. Erst jetzt hebt sie, mit den Grasbüscheln zwischen ihren Händen und dem Kitz, das Kleine vorsichtig hoch und setzt er behutsam in den Korb. Deckel rauf und gesichert.

Gemeinsam geht es besser, Lutz sichert das Kitz, Kathrin zupft Gras und wird das Kitz damit in den Korb legen

Der wird in den Schatten einiger Büsche am Wiesenrand gestellt. Manchmal kann er auch am Fundort bleiben, wird mit Flatterleine gesichert und der Landwirt fährt mit dem Mähwerk um die kleine Rettungsinsel aus Gras herum. Wenn die Mahd vorbei ist, wird das Kitz, nahe dem Fundort, in die Freiheit entlassen.

Aufgepasst, Ortswechsel zur Lebensrettung. Kathrin ist aufmerksam und sanft zugleich, das Rehkitz wird vorsichtig in den Korb gelegt.

Leben retten fühlt sich einzigartig an

Das Kitz kuschelt sich ins Gras und Lutz strahlt noch immer. Zu wissen, man hat das kleine Wesen vor einem grausigen Schicksal bewahrt, ist einfach wunderbar, wird er später sagen. Jetzt geht es erst einmal zurück in die Wiese. Oben zieht Elsa ihre Kreise. Die Zeit drängt, um sieben Uhr will der Landwirt mähen und dann ist da noch die Sonne, steht sie erst einmal hoch am Himmel, wird es für Elsa und ihre Wärmebildkamera schwieriger, die Rehkitze zu finden.

Elsa ist die Heldin im Team

Der grausige Tod in den Wiesen

100 000 Rehkitze im Jahr, so die Schätzung, werden in Deutschland beim Abmähen der Wiesen getötet werden. Dazu kommen noch Hasenjunge und Gelege von bodenbrütenden Vögeln. Nester sind noch schwerer zu finden als Rehkitze, gelingt dies dennoch, werden die Fundorte mit rot-weißer Flatterleine markiert.

Und sie sucht unermüdlich nach Rehkitzen

Folgsame Jungtiere

Die Verstecke im Gras sollen die Rehkinder schützen. Die Ricke, die Mutter des Kitzes, versteckt ihr Junges, denn es könnte nicht davonlaufen, sollte sich ein Raubtier nähern. Die Kleinen warten brav auf die Mutter, bei Gefahr ducken sie sich tiefer ins Gras hinein, flüchten jedoch nicht. Eine bewährte Strategie zum Schutz vor Räubern, doch wenn die Gefahr von den Messern eines Mähwerkes ausgeht, reicht dieser Schutz nicht. Die Tierkinder werden verstümmelt und sterben einen qualvollen Tod. Die etwas älteren Rehkitze suchen durchaus ihr Heil in der Flucht, wenn sie die Gefahr erkennen. Sie springen ab, heißt das im Fachjargon. Rehkitze sind sehr folgsame Tierkinder. Sie kehren an die Stelle zurück, an der die Mutter sie ablegte. Ob sie rechtzeitig dem Mähwerk entkommen können, hängt vom Einzelfall ab. Besser ist also auch sie einzufangen, einfach ist das allerdings nicht.

Gar nicht so selten, Zwillinge, die dürfen dann auch gemeinsam ins Körbchen

Landwirte & Jäger sind gefragt

Landwirte sind verpflichtet, vor der Mahd Maßnahmen zu ergreifen, die dies verhindern. Manche stellen Flatterbänder auf oder beschallen die Wiese mit Musik. Die Wirksamkeit der Methoden ist verscheiden, die Wiese kurz vor der Mahd mit einer Drohne abzusuchen, gilt als sehr zuverlässige Möglichkeit zur Rettung für die Kitze.

Und immer wieder schöne Momente auf den Wiesen

Jäger Jochen Aderhold gehört zum Team der Rehkitzretter. Er erzählt, früher habe er mit Schulklassen die Wiesen vor der Mahd abgesucht. Bevor die Drohne ins Spiel kam, suchten die Rehkitzretter die Wiesen nur mit den Augen ab. Dann kam Frank Neumann auf die Drohne. Die trägt den Namen Elsa, weil sie auch schon mal ausgerissene Hunde suchen sollte. Einer davon hieß Elsa und kam an ihrem Geburtstag ganz von selbst nach Hause. Unversehrt und gesund, so sollen auch die Rehkitze zur Mutter zurückkommen. Somit erhielt die Drohne den Namen Elsa.

Haben Freude an der Mission, Frank Neumann und Jochen Aderhold

Mission Rehkitz retten  

Das Geld für so manchen Urlaub ging in diese technische Aufrüstung. Statt ausschlafen und Cocktails am Strand, mitten in der Nacht aufstehen und Rehkitze retten. Für Frank Neumann und Marina Stolle, die die Rehkitzrettung Brandenburg ins Leben riefen, eine Mission, die nicht nur Kitze rettet. Als Marina Stolle vor Jahren zum ersten Mal vom Tod unter dem Mähwerk erfuhr, ließ sie der Gedanke nicht mehr los. Hier muss was geschehen, sie zog los, informierte sich, lernte die Sprache der Jäger, warb bei Landwirten für die Rehkitzrettung. So oft sie kann ist sie mit dabei, nimmt Urlaub, für die Rettungsmission auf den Brandenburger Wiesen.

Auch die Autorin muss mit ran und darf ein Rehkitz ins Körbchen legen

Die Magie des frühen Morgens

Die Wiesen haben so früh am Morgen ihren eigenen Zauber, die Geräusche der ausklingenden Nacht gleichen meditativen Klängen. Der unschuldige Blick aus braunen Rehaugen lässt pures Glück durch die Adern rauschen. Für Neumann ist die Rehkitzrettung eine Mission, die ihn einmal gepackt und nun nicht mehr loslässt. Allerdings gibt sie auch viel zurück, diese Sonnenaufgänge auf den Wiesen, seine Art, innere Erholung zu finden, sagt er. 

Und noch mehr Wiesen-Zauber

Ein Brandenburg weites Netzwerk geplant

In diesem Frühsommer waren sie täglich unterwegs, Frank Neumann hofft, dass der Verein über das neue Förderprogramm Geld für eine weitere Drohne bewilligt bekommt. Denn die Nachfrage steigt, und gleichzeitig wirbt der Verein bei weiteren Landwirten für die Drohnensuche.

So sehen glückliche Rehkitzretter aus

Nicht nur für Rehkitze tödlich  

„Nicht alle Landwirte kommen ihrer Verpflichtung nach und informieren vor der Mahd den Jäger zum Absuchen der Wiesen“, sagt Neumann. In Bayern wurde vor zwei Jahren ein Landwirt zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem er zwei Rehkitze beim Mähen getötet hatte, berichtet Jäger Aderhold. Denn das Töten von Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund verstößt gegen das Tierschutzgesetz. Die Deutsche Wildtierstiftung weist darauf hin, dass die Kadaver, wenn sie in die Futtersilage gelangen, zur Vergiftung der Rinder, die damit gefüttert werden, führen kann. Eine der anwesenden Jägerinnen kennt einen Fall aus „ihrem“ Dorf, bei dem zwei Pferde starben, nachdem sie von der Silage gefressen hatten, die mit einem Kadaver versucht war. Jäger Aderhold weiß genau, welche Landwirte in der Region, ob mit oder ohne Hilfe, ihre Wiesen vor der Mahd absuchen, sagt er. Er sieht, wann das Mähwerk wieder Opfer forderte, doch vom Anzeigen der Landwirte hält er nicht viel. Denn dann, so die Befürchtung, wäre die Bereitschaft, die Wiesen vorher von den Rehkitzrettern absuchen zu lassen, noch geringer.

Ich bin gar nicht da, scheint das Bambi ausdrücken zu wollen

Pro & Contra

Einer der ersten Landwirte, der mit den Rehkitzrettern kooperierte ist Willi Groß aus Dallgow-Döberitz. „Ich war er skeptisch, ich kannte die Leute ja nicht und ich wusste auch nicht, dass sich dafür überhaupt jemand interessiert.“ Sagt Groß und erzählt, er habe von seinem Großvater gelernt, die Wiesen vor der Mahd selbst abzugehen. „Das ist sehr aufwendig, gehört aber dazu, wenn man für Naturschutz einsteht. Mit der Drohne geht die Suche schneller und ist effektiver“, sagt Landwirt Groß. Ähnlich sieht das auch Fabian Engelmann, Landwirt aus Leidenschaft, wie es sich selbst vorstellt. „Ich würde, wenn es das gäbe, auch im nächsten Leben Landwirt werden“, sagt der 24jährige aus Wustermark. Es sind seine Wiesen, die das Team an diesen Morgen durchsucht. Engelmann sagt: „So fahre ich mit einem viel besseren Gefühl über die Wiese.“ Er selbst hat durch die Rehkitzretter noch nie ein totes Rehkitz auf seinen Wiesen gefunden. Aber er kennt die Geschichten, auch von Landwirten aus der Umgebung, sagt er. Und es gibt Landwirte, die den Dienst der Freiwilligen als unerwünschten Eingriff in ihre Arbeit betrachten. So auch eine Landwirtin aus Wustermark, die sich schimpfend über die ewige Einmischung in die Arbeit der Landwirte beklagt.

Manche Begegnung auf den Wiesen findet ohne Reh dafür mit anderen schönen Tieren statt

Das Beste zum Schluss

Über Engelmanns Traktor mit dem Mähwerk kreisen die Schwarzmilane, sie suchen im frisch geschnittenen Gras nach Mäusen. Beutetiere, die durch das Mähen aufgescheucht wurden, sucht auch der Storch, der dem landwirtschaftlichen Gerät folgt. Kaum hat Engelmann die Wiese verlassen, holen die Rehkitzretter die Kiste mit dem Kitz vom Waldesrand. Etwas abseits der Fundstelle steht das Gras noch hoch. So wie das Kitz in die Kiste gelegt wurde, geht es zurück. Zum Schluss wird es mit dem Gras zugedeckt.  „Das ist für mich der allerschönste Moment“, sagt Frank Naumann, blinzelt in die morgendliche Sonne. Ein kurzer Blick noch, dann entfernt sich das Team, die Ricke wird das Kleine bald holen, allerdings erst, wenn die Menschen sich entfernt haben, erklärt Aderhold und lässt den Blick über die Wiese wandern. Wie verändert die Landschaft nun wirkt, die Sonne steht hoch, der Geruch des gemähten Grases krabbelt in der Nase. Es kreisen keine Raben über der Wiese, ein gutes Zeichen, alle Kitze gefunden. Ein guter Tag für die Rehkitzretter, für Landwirt Engelmann und natürlich für das Rehkitz. 

Was die Wiese wohl versteckt hält?

Gesichert wird, was Elsa entdeckt

Dass nicht nur Rehkitze gerettet werden, wird einige Tage später offenbar. Nahe Potsdam finden die Rehkitzretter ein Trappengelege in einer der Wiesen. Die zu den schwersten flugfähigen Vögeln der Welt gehörenden Großtrappen sind streng geschützt. Vogelnester finden ist schon eine deutliche Herausforderung. Bei einem der letzten Einsätze fanden die Rehkitzretter keine Rehkitze mehr, dafür das Nest einer Feldlerche mit drei Küken, die mit Flatterleine gesichert wurden.

Nach jedem Einsatz gibt´s ein Foto, so auch hier bei Hoppenrade

Eine freudige Bilanz

Der Einsatz und die vielen schlaflosen Nächte haben sich wieder gelohnt. Wurden im letzten Jahr 52 Rehkitze durch die Rehkitzrettung Brandenburg gerettet, waren es in diesem Jahr 119 Reh-Kinder. Ein schöner Erfolg, besonders wenn man dabei sein durfte. Ausschlafen wird eben doch überbewertet, zumindest wenn die Wiese ruft.

Mehr zur Rehkitzrettung Brandenburg gibt es unter: https://www.rehkitzrettung-brandenburg.com