Text & Fotos Silvia Passow
Wenn es nach Karin Radzewitz ginge, wäre sie viel öfter auf der Weide und weniger in ihrem Büro. Die selbständige Handelsvertreterin fährt bereits auf dem Weg ins Büro ihre Weiden ab und besucht ihre Soay-Schafe. Hier findet sie Ruhe und Entspannung. Geradezu meditativ wird es, wenn sie sich ans Spinnrad setzt.
Neugierige Blicke begrüßen die Besucher auf der Weide, noch ein, zwei Schritte, dann setzten sich die Schafe in Bewegung, galoppieren ans andere Ende der Wiese, bleiben stehen, äugen forschend zurück. „Soay-Schafe sind Wildschafe“, erklärt Karin Radzewitz. Im Verhalten erinnern sie eher an Rehwild als an Schafe. Sie legen sogar regelrechte Bocksprünge hin. Die Schafe stammen von der schottischen Insel Soay, nordwestlich vor Schottland gelegen.
Schäfchen zählen zur Entspannung
Seit 2006 züchtet Radzewitz Soay-Schafe, rund 50 Tiere hat sie, auf verschiedenen Weiden, rund um Brädikow im Havelland, stehen. Die Schafe sind nicht nur Nebenerwerb, sie sind ihr Kraft- und Ruhepol.
Gefährdete Schafrasse aus dem Norden
Im Jahr 2000 zog Radzewitz mit ihrem Gatten nach Brädikow, einem Ortsteil von Wiesenaue. Zum ehemaligen Vier-Seiten-Hof gehörten auch Wiesen und Flächen, eine davon gleich hinter dem Haus. „Kein besonders guter, ertragreicher Boden. Eher märkischer Sandboden“, sagt Karin Radzewitz. Zunächst ließ sie dort die Pferde aus der Nachbarschaft weiden, bevor sie aufs Schaf als Landschaftspfleger kam. Dabei war ihr wichtig, eine gefährdete Schaf-Rasse aufzunehmen, sagt sie. Die mit 45-60 Zentimeter großen Schafe stehen auf der Roten Liste der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH). „Deutschlandweit gibt es fünf, vielleicht sechs weitere Züchter“, sagt Radzewitz. Außerdem sollten die Schafe nicht allzu groß und schwer sein. Das erleichtert die notwendigen Pflegemaßnahmen, wie den Klauenschnitt, sagt die 58jährige.
Doppelte Sicherung zum Schutz vor den Wolf
Die Schafe leben ganzjährig auf 6 Hektar Weideland. Neben einem hohen Weidezaun sichert ein weiterer Elektro-Zaun die Tiere. „Nicht nur vertrauen, auch hauen“, nennt sie die Methode der doppelten Sicherung. Bisher hatte sich noch keinen Wolfskontakt sagt sie. „Ich versuche alles was möglich ist, um eine Wolfsbegegnung zu vermeiden. Der soll gar nicht erst auf den Geschmack kommen“, fügt sie hinzu. Denn ein Wolfsriss wäre nicht einfach nur ein finanzieller Verlust. „In diesem Fall geht auch unwiederbringliches Material aus dem Genpool verloren“, sagt sie.
Wild und neugierig
Während Radzewitz von den Schafen erzählt bleiben diese weiter auf Distanz. Für die Schäferin im Nebenerwerb ist das okay. „Das ganze Jahr können sie machen, wie sie wollen. Mit einer Ausnahme, wenn Klauenschneiden angesagt ist, bestimme ich wo`s langegeht“, beschreibt sie das Schaf-Leben ihrer Herden. Die Zucht und der Erhalt der Rasse stehen bei ihr im Mittelpunkt „Ich verkaufe lieber lebend als am Haken“, sagt sie. Geschlachtet wird dennoch und für einen Moment schwärmt sie von der Salami, die es dann wieder gibt. Mit dem Schlachtbetrieb hat sie Glück, sagt sie. Im rund 10 Kilometer entfernten Berge hat sie einen kleinen Betrieb gefunden. Die Schafe werden bereits am Vortag abgeholt, bleiben über Nacht dort im Stall bevor sie ihren letzten Weg antreten. Damit wird der Stress möglichst geringgehalten, sagt Radzewitz und lässt den Blick über die Herde gleiten. Ist es überhaupt vertretbar ein selten gewordenes Haustier zu schlachten? „Es geht dabei um den Erhalt durch Nutzen“, erklärt Radzewitz.
Auen und Böcke stehen getrennt
Die Weibchen, die Auen, stehen auf dieser Weide unter sich. Auch sie tragen Hörner, allerdings sind diese nicht ganz so eindrucksvoll wie die der älteren Böcke. Die Böcke stehen einige Orte weiter, auf einer anderen Koppel. „das sorgt für weniger Stress unter den Tieren“, erklärt Radzewitz. Während die Männchen sich rund ums Jahr verpaaren möchten, ist die Aue nur saisonal, ab September bis in den November, bereit dazu. Nach etwa 165 Tagen ist es dann soweit, die Lämmer werden geboren. Neben den Jungtieren aus ihrer Herde hat Radzewitz, nimmt Radzewitz auch Soay-Schafe ab, deren Halter die Tiere nicht mehr versorgen können. „Die möchten, dass es ihren Tieren gut geht. Und genau das möchte ich auch. Meinen Tieren soll es gutgehen“, sagt Radzewitz mit Nachdruck. Viel braucht es dafür nicht, sagt sie. Neben ausreichend großen Weiden etwas Heu, die robusten Tiere stellen keine großen Ansprüche.
Noch weitere seltene Tierrassen
Die Schafe sind nicht die einzigen Tiere auf ihrem Karinenhof, wie der Vier-Seiten-Hof heißt. Neben den braunen Legehennen tummeln sich hier auch Araucana-Hühner. Die ursprünglich aus Südamerika stammenden Hühner legen grüne Eier. Die bereichern den Frühstückstisch für Pensionsgäste, für die im Karinenhaus sechs Gästezimmer zur Verfügung stehen. Bis vor kurzen arbeitete Radzewitz nach Bio-Standard. Doch das hat sie nun aufgegeben, die Auflagen sind nicht nur hoch, sagt sie und aus ihrer Sicht nicht immer nachvollziehbar.
Hühner zeigen keinen Respekt vor königlichen Namen
Ihre Hühner tapsen fröhlich durch den Garten, die Hennen ärgern Prinz Harald. Der Hahn ist neu und muss sich erst noch behaupten beim Hühnervolk. Namen für die Tiere sind bei Radzewitz nicht unbedingt üblich. „Mir ist es wichtig, dass das Tier ein Tier sein kann“, sagt sie. Vom Verhätscheln hält sie nicht viel, dagegen sehr viel von artgerechter Haltung.
Ein Automat mit regionalen Produkten
Ein Stück weiter stehen die Bienenstöcke. Neun Bienenvölker hält Radzewitz in ihrem Garten. Während einige ihrer Produkte wie die Eier, Honig und selbst gekochte Marmeladen auf dem Frühstückbuffet landen, werden, andere im nah gelegenen Kinderbauernhof Marienhof verkauft. Radzewitz bestückt den sogenannten Regiomaten, einen mit Produkten aus der Region befüllten Automaten, mit ihren Produkten. Schaffelle können auf dem Karinenhof selbst erworben werden.
Entspannung am Spinnrad
Kaum zu glauben, dass da noch Zeit für weitere Hobbys bleiben soll. Ist aber so. „Wir sind auch Wollsammelstelle“, sagt Radzewitz. Die eingesammelte Wolle wird von ihr versponnen. Fünf unterschiedliche Spinnräder stehen bei ihr im Haus. Spinnen, sagt sie, geht wie von selbst. „Man kann dabei fernsehen oder auch einfach die Gedanken treiben lassen“, beschreibt sie die Vorzüge des Spinnens am Spinnrad. Tatsächlich gibt das hölzerne Rad kaum Geräusche von sich, sie tritt mit dem Fuß rhythmisch auf ein Pedal und lässt die Wolle, in diesem Fall von Pommernschafen, durch die Finger gleiten. Und weil stricken zwar schön aber auch nicht sonderlich originell ist, hat sie auch noch das Weben erlernt. Kleine Sitzunterlagen und gemusterte Decken, eine davon mit Ostereierfarbe eingefärbt. Doch statt Lorbeeren für ihr Schaffen einzusammeln, verweist sie auf ihren Ehemann. „Ohne seine Unterstützung würde ich das alles nicht schaffen“, sagt sie. Und gibt zu, ein straffes Zeitmanagement gehört auch dazu. Und, lohnt sich das? Radzewitz lacht. „Der Lohn sind Ruhm und Ehre“, sagt sie und fügt hinzu: „Leben kann man davon nicht.“ Dabei ist es ihr Glück, dass zu ihrem Haus die Flächen gehörten, sagt sie.
Zu wenig Land für die Bauern der Region
Denn Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung zu bekommen sei heute sehr schwierig. „Investoren kaufen sie als Wertanlagen. Dabei sollten die Flächen vorrangig an die Landwirte aus den Regionen verkauft werden“, sagt sie. Hier würde sie sich mehr Unterstützung aus der Politik wünschen. Ebenso wie beim Schaffen regionaler Schlachthäuser. Radzewitz würde sich wünschen, ihr Fleisch auf dem eigenen Hof verarbeiten zu können. Hygiene, sagt sie, ist dabei ganz selbstverständlich. Damit fühlt sich die Pensionswirtin gut vertraut.
Tipp: Der Karinenhof beteiligt sich an der Brandenburger Landpartei. Karin Radzewitz sagt, sie möchte auch im nächsten Jahr wieder dabei sein.