Im Havelländischen Kieck gehen Ökolandbau und Sucht-Therapie Hand in Hand
Märkisch Luch/ Kieck. Schweine sind wirklich kluge Tiere. Sie liegen in der Mittagshitze dieses sonnigen Sommertages in ihren Hütten und dösen. Verlassen sind die herrlich schlammigen Suhlkuhlen, in denen das kühle Nass zum Platschen einlädt. Doch Schweine sind auch neugierig und so dauert es keine drei Minuten, bis sich die erste rosa Steckdosennase durch den Eingang einer der Hütten schiebt. Der menschliche Besuch lockt, verspricht Abwechslung, vielleicht haben die Zweibeiner eine Leckerei dabei? Das schwarz-rosa Sattelschwein läuft los und hinter ihm drängen etwa ein Dutzend weiterer Schweinchen hinaus. Grunzen, in der Erde scharren, sich beschnuppern und dabei lustig mit den Ringelschwänzchen wackeln.
Auf dem Öko-Landhof von SinAlkol in Kieck darf Schwein noch Schwein sein, mit Schlappohren, die keck bei jedem Schritt wippen, und Ringelschwänzchen. „Unsere Ferkel werden mit Betäubung vom Tierarzt kastriert“, sagt Thorsten Michalek, Geschäftsführer und Suchttherapeut auf dem etwas anderen Bauernhof. Hier gehen Ökolandbau und Suchttherapie eine Verbindung ein.
In Kieck passt alles zusammen. Der Ort ist gut erreichbar und ist doch abgelegen. Optimal für Menschen, die sich von einer lebensbeherrschenden Krankheit erholen wollen. Die, bevor sie nach neuen Perspektiven suchen, erst einmal zu sich selbst finden möchten. Auf diesem Hof lockt nicht der Alkohol oder andere Suchtstoffe, hier locken frische Luft, sinnvolle Betätigung und herrliche Sonnenuntergänge über den Wiesen des Havellandes.
Kieck erklärt Michalek, war schon immer landwirtschaftlich geprägt. Das Gelände gehört noch heute dem Dom zu Brandenburg an der Havel, war einst Vorposten der Havelstadt, daher der Name, Kieck, ein Ausguck.
Als kurz nach der Wende der Verein Sinalkol das 80 Hektar große Grundstück pachtete, wurde auch die landwirtschaftliche Nutzung wiederbelebt. Allerdings nicht nach konventionellen Maßstäben. „Wir wollen Qualität produzieren“, sagt der 49jährige Michalek. Alles was hier auf Feldern und Weiden wachsen, gedeihen und später verkauft und genossen werden kann, ist nach „Biopark“ Standard zertifiziert. Die Arbeitsweise muss den Biopark-Richtlinien entsprechen. „Das heißt, dass unsere Enten und Gänse nicht nur einfach im Freiland, auf der Wiese stehen. Sie bekommen auch Schwimmmöglichleiten. Es sind Wasservögel und da schreiben die Richtlinien die Bademöglichkeit vor“, sagt Michalek. Die Enten und Gänse sind ausschließlich für das Weihnachtsgeschäft bestimmt. Etwa eine Woche vor Weihnachten werden sie geschlachtet, alle auf Bestellung, kein Tier soll sein Leben lassen, ohne hinterher in die Nahrungskette zu gehen, auch das gehört zur Philosophie des Hofes. Wer eine Weihnachtsgans aus Kieck möchte, muss sie zeitig im Jahr bestellen. Neben den Enten und Gänsen wohnen die Hühner, auch sie haben ihren Wellness-Tümpel und viel Auslauf. Geräumiger hat es wohl nur noch die Mutterkuhherde. Etwa 45 Rinder liegen im Schatten der Bäume, die an ihre Weide grenzt.
Ein Stück weiter, auf dem Gemüseacker leuchtet der Rotkohl. Gurken, Tomaten und Rote Beete stehen zum Verkauf bereit. Auch das Gemüse wird in Bio-Qualität angebaut, gleiches gilt auch für Getreide und Heu. Sechzehn Mitarbeiter sind auf dem Gelände tätig. Dazu gehören zwei Landwirtinnen und ein Traktorist. 45 Therapieplätze gibt es eigentlich, im Moment sind es etwas weniger, Corona, mal wieder.
Wer hier therapiert wird, kann in der Landwirtschaft mithelfen. Oder im Hauswirtschaftlichen Bereich, der Küche, in der Tischlerei oder der typenoffenen KFZ- Werkstatt. Verpflichtend ist das nicht, für die anstehende Arbeit werden Arbeiter eingestellt. Zu den Bewohnern in der Therapie kommen noch Mieter, ehemalige Patienten, die in Wohnungen leben. Sie verdienen ihr Geld als Saisonarbeiter bei Sinalkol oder in den Betrieben der Umgebung. „Das war für uns während der Spargel-Ernte von Vorteil. Unsere Arbeitskräfte sind von hier“, sagt Michalek. So war das Spargel-Stechen gesichert, zu den Saisonarbeitern gesellte sich ein Künstler als Garlitz, erzählt Michalek. Damit konnten sie das Edelgemüse in gewohnter Qualität verkaufen. „Wir hatten sogar mehr Kunden als üblich“, sagt der Geschäftsführer. „Und viele der Neukunden wollen wiederkommen. Diese Neukunden konnten wir mit der Bioqualität überzeugen.“
In der Cafeteria können Obst und Gemüse gekauft werden. Ebenso Eier, Schinken und Wurstprodukte vom Schwein. Fleisch wird hier nicht verkauft. Geschlachtet wird traditionell nur in Monaten, deren Name ein „R“ enthält, also von September bis April. „Etwa eine Dreiviertelstunde Autofahrt braucht es, bis zu der kleinen Fleischerei, die für uns schlachtet“, sagt Michalek. Er sagt, die Schweine steigen angstfrei in den Wagen. „Sie wurden alle hier geboren. Autofahren kennen sie nicht, verbinden damit keine Erfahrung“, fügt er hinzu. Die Rinder werden über „Biopark“ zum Schlachter gebracht. „Das Fleisch können sie in Hipp-Kindernahrung finden“, sagt Michalek.
Während der Corona-Beschränkungen war der Verkauf in der Cafeteria nicht möglich gewesen. Inzwischen können dort wieder die Bio-Leckereien vom Land gekauft werden. Neu sind die Verkaufsstellen in Brandenburg an der Havel und Rathenow. Hier sind die Waren aus Kieck auf der „Bio Insel“ erhältlich.