Drei Engel für Rehkitze

Ein Dreiergespann aus dem Havelland rettet in seiner Freizeit Rehkitze vor einem grausamen Tod

Dallgow-Döberitz/OT Seeburg   Früh aufstehen gehört dazu, wenn man Rehkitze vor dem Mähwerk retten möchte. „Wenn man dann so ein kleines, zartes Kitz auf den Armen hält, wohl wissend, was ihm erspart bleibt, dann fällt jede Müdigkeit von einem ab“, sagt Frank Neumann. Wenn er und seine Frau, Marina Stolle, auf die Pirsch gehen, dann ist es noch sehr früh am Morgen dunkel auf den Brandenburger Wiesen. Bis zum Sonnenaufgang müssen die Rehkitze gefunden sein. Denn nur so lange der Boden kühl, liefert die Wärmebildkamera ihrer Drohne verlässliche Bilder. Mithilfe dieser Technik finden sie die katzengroßen Rehkitze in den Wiesen. Neumann und Stolle leben im Havelländischen Seeburg, einem Ortsteil von Dallgow-Döberitz, einem ländlich geprägten Ort liegt zwischen Berlin und Potsdam. Nicht weit entfernt, in Wustermark, lebt Jäger Jochen Aderhold, der das Paar bei der Mission „Rehkitzrettung in Brandenburg“ unterstützt. Dass diese Rettung dringend notwendig ist, zeigen die Zahlen.

Bei Gefahr flüchten Rehkitze nicht, sie ducken sich nur noch tiefer ins Gras. Das hilft gegen so manchen Beutegreifer aus der Luft, nicht aber gegen die scharfen Messer eines Mähdreschers
Foto: Pixabay

Etwa 90 000 Rehkitze sterben jährlich unter den Mähwerken der Landwirte, schätzt die „Rehkitzrettung Osnabrücker Land“. Bei den Niedersachsen haben Neumann und Stolle viel über die Rehkitzrettung mittels Drohne gelernt, sagt Neumann.

In den Wiesen und Feldern legen Rehe ihre Jungen ab. Mit fatalen Folgen für die Kitze, wenn die Landmaschinen im Einsatz sind
Foto: Silvia Passow

Eine vernachlässigte Pflicht

Die Rehkitz-Mutter, im Jägerlatein Ricke genannt, legt ihren Nachwuchs gern im hohen Gras ab. Hier machen sich die Kleinen noch sehr viel kleiner, ducken sich, denn ihnen wurde mit dem Instinkt in die Wiege gelegt, klein machen, nicht bewegen, damit man nicht als Raubtierfutter endet. Dieser Instinkt reicht so weit, dass sich die Rehkitze auch bei nahender Gefahr nicht rühren. Der fehlende Fluchtimpuls wird zum Verhängnis, wenn der Mähdrescher naht, oft werden die Laufe vom Körper des Rehkitz getrennt und sie sterben qualvoll im Gras. Eigentlich sind die Landwirte verpflichtet, vor der beabsichtigten Mahd den zuständigen Jäger zu informieren. Dieser muss dann die Wiese absuchen und Rehkitze sichern. Dass kann durch heraustragen aus dem Gefahrengebiet geschehen oder der Landwirt mäht um das Kitz herum, lässt also etwas Gras stehen. Ob es nun die Landwirte sind, die ihre Absicht die Wiese zu mähen nicht weitergeben oder die Jäger, die ihrer Pflicht nicht nachkommen, dass lässt sich nur im Einzelfall sagen, sagt Jäger Aderhold. Er sagt, er kenne durchaus Jäger, die würden dieser Aufgabe nicht nachkommen und alle drei sagen, sie kennen Jäger, die hätten noch nie ein Rehkitz gesehen. Nun ist das Ablaufen einer Wiese ein aufwendiges Unterfangen, das wissen Neumann und Stolle, sie haben selbst so angefangen. Mit der Drohne geht das schneller und effektiver, sagen sie. Sie bieten ihre Dienste den Landwirten in Brandenburg kostenlos an.

Drei Engel für die Rehkitze, Marina Stolle, Frank Neumann und Jochen Aderhold
Foto: Silvia Passow

Mit Hartnäckigkeit ans Ziel

Es war Marina Stolle, die den Stein ins Rollen oder besser, die Drohne über die Wiese brachte. Vor ungefähr sechs Jahren wurde sie durch einen Radiobericht auf das Problem aufmerksam. Die Außendienstmitarbeiterin eines medizinischen Unternehmens verbringt viel Zeit im Auto und auf Landstraßen. Fortan hatte sie ein Auge auf die Wiesen und brauchte nicht lange, um ein Reh auf einer abgemähten Wiese zu entdecken. Sie hielt an und konnte sich dem Reh nähern, bevor es sein Heil in der Flucht suchte. Stolle ging zu der Stelle, an der das Reh gestanden hatte und fand ein schrecklich zugerichtetes Rehkitz. Von dem Moment an wusste sie, hier musste was geschehen. „Und wenn ich mir mal etwas vorgenommen habe, dann mache ich das auch“, sagt sie. Keiner widerspricht.   

Mit der Drohne geht die Suche schneller und ist genauer, sagt Frank Neumann
Foto: Silvia Passow

Zunächst erzählt Stolle, informierte sie sich, über Rehe, ihr Verhalten, sie suchte Jäger auf, um bei ihnen zu lernen. Dann nahmen sie und Frank Neumann Kontakt zu Landwirten auf, boten an, die Wiesen nach Rehkitzen abzusuchen. „Da sind wir schon mal zwölf, fünfzehn Kilometer abgelaufen“, sagt sie. Denn die kleinen Rehkitze sind gut versteckt, nur bei der engmaschigen Suche sind sie zu finden, erklärt Stolle. Drei Jahr ging das so. Stolle sagt, sie weiß gar nicht, wie oft sie für ihr Ansinnen belächelt wurde, doch sie ließ sich nicht beirren, blieb hartnäckig am Ball. Einer der ersten Landwirte, bei denen sie nach Rehkitzen suchen durften, ist Willi Groß aus Dallgow. „Ich war er skeptisch, ich kannte die Leute ja nicht und ich wusste auch nicht, dass sich dafür überhaupt jemand interessiert.“ Groß erzählt, er habe von seinem Großvater gelernt, die Wiesen vor der Mahd selbst abzugehen. „Das ist sehr aufwendig, gehört aber dazu, wenn man für Naturschutz einsteht. Mit der Drohne geht die Suche schneller und ist effektiver, sagt Landwirt Groß, der das Dreiergespann nun regelmäßig vor der Mahd ruft.  

Ein eingespieltes Gespann, die Brandenburger Rehkitz-Retter
Foto: Silvia Passow

Mit moderner Technik Leben retten

Vor drei Jahren haben sich die Rehkitz-Engel eine Drohne mit Wärmebildkamera zugelegt. Mehr als 10 000 Euro haben sie in das Gerät investiert, dazu kommen die Kosten fürs Zubehör. „Dafür haben wir auf einige Urlaube verzichtet“, sagt Neumann. „Aber das war es wert“, fügt er hinzu. Neumann hat enge Kontakte zur „Rehkitzrettung Osnabrücker Land“ aufgebaut. Dort hat man gute Erfahrung mit dem Drohneneinsatz, sagt Neumann. „Mit der Drohne haben wir unsere Erfolgsquote auf 99 Prozent steigern können“, sagt Aderhold, der fast bei jedem Einsatz dabei ist. „Die Drohne ist am besten mit zwei Leuten zu bedienen, wenn man Rehkitze finden will“, sagt Neumann. „Und wir lernen viel von Jochen. Er ist sehr engagiert und hat das Herz am rechten Fleck“, sagt Neumann.

An manchen tagen holen die Retter einige Kitze aus den Wiesen.
Foto: Symbol-Bild von Pixabay

Manpower braucht es weiterhin

Zwischen zwei und zehn Freiwillige sind bei den Einsätzen dabei. Hat die Drohne ein Kitz aufgespürt, werden die Helfer zum Fundort gelotst, dort wird es vorsichtig geborgen. Dabei sollte der Mensch das Tier nicht direkt anfassen. Denn später, nach der Mahd, wird das Tierkind wieder zurückgelegt und die Mutter nimmt es nicht an, wenn es dann nach Mensch riecht. Rehe sind die kleinste und häufigste Hirschart in Europa. Menschen riechen sie auf etwa 300 Meter Entfernung. 52 Rehkitze haben sie allein in diesem Jahr vor dem schrecklichen Ende durch das Mähwerk erspart. Dabei waren sie an 31 Einsatzorten in ganz Brandenburg aktiv. Unter anderen in Cottbus, Eisenhüttenstadt, Potsdam, Werder, Phöben, Bötzow, Wustermark, Dallgow, um nur einige Einsatzorte zu nennen. „Da die Ricken zeitversetzt ihre Junge zur Welt bringen sind wir von Anfang Mai bis Anfang Juli auf den Wiesen unterwegs“, sagt Stolle.

Wenn Mutter und Kind wieder ihrer Wege ziehen, ist dies der schönste Augenblick und Lohn für alle Arbeit, sagt Frank Neumann.
Foto: Pixabay

Vereinsgründung geplant

Auf Facebook kann man die Abenteuer des Teams unter „Rehkitzrettung Brandenburg“ verfolgen. Stolle, Neumann und Aderhold sind als Privatleute unterwegs, doch das soll sich bald ändern. Neumann sagt, er plane einen Verein zu gründen. Menschen, die das Team unterstützen und Landwirte, die ihre Dienste in Anspruch nehmen möchten, können sich direkt an Frank Neumann wenden. Kontakt: 0173 5667403.

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