Karl der Käfer wurde wieder nicht gefragt

Sind das noch Waldarbeiten oder ist das schon Kahlschlag?

Von Silvia Passow

Paulinenaue/Lindholz.   „Tief im Wald, zwischen Moos und Farn, da lebte ein Käfer mit Namen Karl“, sang 1983 die Gruppe Gänsehaut über Karl den Käfer, der seine Heimat, den Wald, verlor.

„Sein Leben wurde jäh zerstört,

als er ein dumpfes Grollen hört.“ (Aus Karl der Käfer)

Heißt es in dem Protestsong weiter. Auch Ingo Ludwig hörte das Grollen. Er wohnt nahe des Waldes Lindholz. Rund 100 Hektar ausgewiesenes Naturschutzgebiet mit dem Schutzziel den natürlichen Hainbuchen und Stieleichenwald zu erhalten. Dem Areal wird ein guter und hervorragender Erhaltungszustand bescheinigt, sagt Ludwig. Er geht hier regelmäßig spazieren, kennt den Wald wie seine Jackentasche. Hier lädt er normalerweise seine Batterien auf. Doch seit einigen Wochen ist Schluss damit. Denn was Ludwig hier im Wald sieht, ist nicht zum Abspannen und Durchatmen geeignet.

Tiefe Fahrspuren führen derzeit durch das Lindholz. Dabei wird die dünne Schicht Waldboden aufgewühlt und der Boden verdichtet.
Foto: Silvia Passow

Ingo Ludwig hat zum Waldspaziergang geladen. Die Luft ist klar und kühl, der Himmel blau, über unseren Köpfen kreist ein Mäusebussard. „Hinter dem Graben beginnt das Naturschutzgebiet,“ sagt Ludwig. „Es wurde bereits 1961 unter Schutz gestellt, war eines der ersten Schutzgebiete in der DDR“, fügt Ludwig hinzu. Eine große Artenvielfalt macht diesen Wald so besonders, so schützenswert. Heute gehört der Wald zum Fauna-Flora Habitat (FFH) und ist eine Special-Birds-Area (SPA), unterliegt den entsprechenden EU-Richtlinien und ist damit Teil des Natura 2000 Schutzgebietssystem im Land Brandenburg. Hier lebt der streng geschützte Rote Milan, Kolkraben und hier lebt der Hirschkäfer, dessen Bestände seit Jahren zurückgehen.

Im Totholz der Bäume fühlen sich die Larven des Hirschkäfers richtig wohl
Foto: Silvia Passow

Es geht ein Stück durch den Wald, dann stehen wir vor dem, was Ludwig seit Wochen beschäftigt und in gleich mehrfacher Hinsicht als aufwühlend bezeichnet werden kann. Große Bäume liegen herum, entwurzelt, als hätten Riesen Mikado gespielt. Dazwischen große Löcher im Boden. Sie verraten, hier stand, bis zu nicht allzu langer Zeit ein Baum.

Die Baumriesen sind Opfer des Sturms Xavier, der vor über zwei Jahren wütete.
Foto: Silvia Passow

2017 hatte im Lindholz der Sturm Xavier gewütet und reihenweise Bäume zerstört, manche auch komplett entwurzelt. Ludwig zeigt auf die freiliegenden Wurzeln eines solchen Riesens. „Wenn man die Bäume so liegen lässt, bauen Zaunkönige in den geschützten Räumen aus Wurzeln und Gestrüpp ihre Nester“, erläutert Ludwig. Unter den umherliegenden Bäumen können es sich die Larven der seltenen Hirschkäfer gutgehen lassen. Sie lieben das Totholz, erklärt er weiter. Seit 2017 war das auch so, der Wald blieb sich selbst überlassen, Wanderer hatten den Naturlehrpfad, auf dem einer der umgestürzten Bäume lag, solange umgangen, bis sich ein neuer Trampelpfad erschlossen hatte. Doch nun finden seit einigen Wochen Aufräumarbeiten statt. Mehr als zwei Jahre nach dem Sturm wird der Wald aufgeräumt. „Die Besitzerin sagt, sie müsse im Wald für Sicherheit sorgen“, sagt Ludwig. Ein Wald ist keine Flaniermeile, hier muss man als Spaziergänger schon schauen, wo man langläuft und mancherorts weisen an Wäldern auch Schilder darauf hin, „Betreten auf eigene Gefahr“. Nun versteht Ludwig durchaus, dass man die Wege sichert, das ist okay, sagt er. Das Problem ist die Art wie das geschieht und die Frage, warum weitab der Wege, ebenfalls Waldarbeiten erfolgen, sagt er.

Hier könnte ein Zaunkönig nisten
Foto: Silvia Passow

Da wären zunächst die Stubben. Werden diese aus dem Waldboden gezogen, ist das eine deutliche Störung für jegliches Getier, was sich da angesiedelt hat. Mehr noch: „Der Wald hier steht auf einer Sanddüne. Die Walderde reicht etwa 20 Zentimeter tief, darunter ist Sand. Wird der Stubben entfernt, verteilen sich die Walderde und der Sand. Letzterer ist nicht nährstoffreich. Fällt dort der Samen eines Baumes auf den Boden, wird er nicht aufgehen“, erläutert Ludwig. Das Ingo Ludwig so viel über Wälder weiß hat einen Grund, er ist Diplom-Biologe, arbeitet seit dreißig Jahren bei einer Naturschutzbehörde und ist seit vierzig Jahren im Naturschutz aktiv.    

Die Spurrinnen sind tief, Wasser steht darin, was zeigt, wie verdichtet der Boden an den Stellen ist
Foto: Silvia Passow

Diese Mischung der dunklen Erde mit dem hellen zuckrigen Sand, das kann man hier vielerorts sehen. Was den Naturfreund besonders schmerzt, überall sieht man junge Bäume liegen, deren saubere Schnittkante zeigen, sie wurden nicht Opfer eines Sturmes. „Warum?“ fragt Ludwig und schaut kopfschüttelnd auf die kleine Hainbuche, die nun im Laub liegt. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum der junge Baum abgesägt wurde. Das, was gerade im Lindholz passiert, ist aus Ludwigs Sicht viel mehr als nur die Beseitigung von Sturmschäden. „Hier werden Lebensräume zerstört und das ist etwas, was die FFH Richtlinien so nicht vorsehen“, sagt er.

Wie die Axt im Walde…….
Foto: Silvia Passow

Waldbesitzerin sieht keinen Gesprächsbedarf

Die Besitzerin des Waldstückes lebt in Bayern und bittet darum, ihren Namen nicht zu veröffentlichen. Sie möchte auch sonst nichts über sich oder ihrem Wald veröffentlicht haben, schreibt sie. Sie erklärt weiter, es handle sich um Aufräumarbeiten nach dem Sturm Xavier und somit sei keine weitere Begründung von Nöten.

Überall kann man im Lindholz kleinere Bäume mit glatter Schnittfläche finden
Foto: Silvia Passow

Die Untere Naturschutzbehörde sieht keinen Handlungsbedarf

Ingo Ludwig hat die Untere Naturschutzbehörde (UNB) über die Vorgänge im Lindholz informiert. Der Sprecher des Landkreises schreibt, die UNB habe sich die Sachlage vor Ort angesehen und mit der Eigentümerin gesprochen. „Nach Angaben der Befragten handelt es sich bei den Arbeiten um die Beräumung von Windbruch vom Herbststurm „Xavier“. Bei nachfolgenden, weiteren Kontrollen und Befragungen sind diese Angaben bestätigt worden.“  Es heißt hier weiter, man habe bereits 2017 nach dem Sturm die Betroffenen Eigentümer über das Naturschutzrecht informiert. „Ordnungsgemäße Forstwirtschaft ist nach geltendem Recht zwar auch im Naturschutzgebiet sowie im FFH-Gebiet mit seinen FFH-Lebensraumtypen mit besonders und streng geschützten Arten zulässig, allerdings darf sich dabei der Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und der Arten im Gebiet nicht grundsätzlich verschlechtern. Da bisher keine offensichtlichen Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Bestimmungen, zum Beispiel des Besonderen Artenschutzes, festgestellt werden konnten, wurde auf die Anordnung eines Stopps der Arbeiten verzichtet. Dennoch bleibt für die Naturschutzbehörde noch Klärungsbedarf. In jedem Fall werden Eckpunkte für die künftige naturschutzgemäße Bewirtschaftung der Flächen festgelegt“, heißt es hier weiter.

Die „Lichtung“, mit Wegesicherung hat das nicht mehr viel zu tun
Foto: Silvia Passow

„Lärmende Maschinen überrollen den Wald

Übertönen den Gesang der Vögel bald“ (Aus Karl der Käfer)

Wir sind auf einer Lichtung angekommen, früher war das mal Wald. „Das sind rund zweieinhalb Hektar“, sagt Ludwig. Ein Bäumchen steht hier noch etwas verloren. Ludwig sagt: „Spätestens bei der Vor-Ort-Kontrolle hätte klar sein müssen, dass unter Anwendung des strengen Vorsorgegrundsatzes, bereits die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung die Pflicht zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 34 des Bundesnaturschutzgesetztes auslösen muss. Nach meiner Einschätzung ist hier sogar mit Sicherheit von erheblichen Beeinträchtigungen für Lebensraumtypen und Arten auszugehen. Es kommt rechtlich allein darauf an, ob eine Maßnahme zu erheblichen Beeinträchtigungen führen kann, also nicht darauf, dass dies nachweislich tatsächlich so sein wird. Allein die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintretens erheblicher Beeinträchtigungen genügt, um zunächst die Unzulässigkeit dieser Maßnahmen auszulösen – eine sofortige Anordnung zur Einstellung der Arbeiten wäre also eine adäquate Reaktion gewesen. Da wie bereits erwähnt und leicht im Maßnahmenplan zum Gebiet nachzulesen, flächendeckend der Hirschkäfer im Gebiet vorkommt, verbietet sich allein schon deswegen das Roden der Stubben. Diese Art hat im Larvenstadium seinen Lebensraum in der Totholz-Mulmschicht des Bodens (die obersten 15-40 cm Boden) und ist dringend angewiesen auf verrottendes Holz auf und im Boden.“

Karl der Käfer wurde wieder einmal nicht gefragt.