Schwarmintelligenz

Die smarte Art des Einkaufens, Marktschwärmereien bringen Kunden und Erzeuger von Waren zusammen  

Marktstimmung auf dem Landgut Schönwalde
Foto: Silvia Passow

Reportage von Silvia Passow aus Schönwalde-Glien

Prüfend hebt der ältere Herr das Bund Radieschen hoch, dreht es, und betrachtet es von allen Seiten. „Dit sind ja Riesendinger“, sagt er, lacht und verstaut das Gemüse in seinem Korb. Angelika Glawe von der Luch-Gärtnerei im Havelland sieht ihrem offenbar zufriedenen Kunden nach und strahlt dabei ebenfalls übers ganze Gesicht. „Und knackfrisch sind sie auch. Ich habe die Radieschen erst vor zwei Stunden geerntet“, sagt sie. Glawe wird am Ende des Markt-Nachmittages, nichts außer ihre Kisten und Kästen, die sie zum Tragsport nutzte, mitnehmen. Ihre Ware hat sie dann vollständig verkauft. Das weiß sie, weil alle Lebensmittel im Vorfeld bestellt wurden. Damit hat sie keine Verluste, kein Gemüse musste das kuschlige Beet verlassen, um hinterher vielleicht in der Mülltonne zu landen. Das ist einer der Vorteile des Konzeptes der Marktschwärmerei. Alle Waren werden verkauft, es bleibt nichts zurück. Glawe hat auch keinen langen Transportweg zurückgelegt, um die Marktschwärmerei auf dem Landgut Schönwalde zu erreichen. Auf dem ehemaligen Dorfgut hat Pächterin Ingeborg Schwenger vor knapp einem Jahr die erste Marktschwärmerei im Havelland eröffnet.

Zur Eröffnung besuchte Landrat Roger Lewandowski (CDU) die Marktschwärmerei, kosten durfte er natürlich auch. Gastgeberin Ingeborg Schwenger reicht Frischkäse
Foto: Silvia Passow
Märkte bieten auch immer die Gelegenheit für einen Plausch. Hier tauschen sich Ingeborg Schwenger, Schäfer Olaf Kolecki und Landrat Roger Lewandowski über die Herausforderungen in der Landwirtschaft aus.
Foto: Silvia Passow

Gesundes Essen, von Erzeugern aus der Region

Ingeborg Schwenger ist Ärztin, passionierte Reiterin, erfolgreiche Geschäftsfrau und seit über zehn Jahren bewirtschaftet sie das Landgut Schönwalde. Fragt man sie heute, wird sie sich als Landwirtin vorstellen, der die Landwirtschaft als Naturkreislauf ein Anliegen ist. Natürliche und ehrliche Produktion von Lebensmitteln, die gesund sind, für Mensch und Umwelt und, ganz wichtig, bitteschön auch nach etwas schmecken. „Keine Gummitomaten“, wie sie sagt. Genuss und gesund schließen sich bei ihr nicht aus, ganz im Gegenteil. Dazu gehört auch die verlockende Vielfalt der Region. Schwenger hält immer Ausschau nach den kulinarischen Perlen in der Umgebung. Sie hat eine Vorliebe für diese Produkte und möchte die Leckereien einem breiteren Publikum vorstellen. Die Einzigartigkeit dieser Produkte, die nur in kleinen Mengen hergestellt werden und die nicht im Supermarktregal zu finden sind. Für Kunden, die diese Einzigartigkeit schätzen heißt es, weite Strecken über das Land fahren, hier den Honig, dort den Schinken und da die Äpfel kaufen. Mit der Marktschwärmerei holt Schwenger die Erzeuger zusammen und erspart den Kunden damit die vielen langen Wege.

Löwenzahnlikör gehört zu den seltenen Schätzen, die es bei den Marktschwärmern zu kaufen gibt.
Foto: Silvia Passow

Einkaufen am Computer und beim Bauern

Das Prinzip der Marktschwärmerei kommt ursprünglich aus Frankreich, eben dem Land, in dem der himmlische Vater höchst selbst angeblich speisen soll. Von dort schwappte die Idee in andere Länder Europas und seit einigen Jahren gibt es die Marktschwärmer auch in Deutschland. Eine Kombination aus modernem Einkaufen am heimischen Computer und der direkten Kontaktaufnahme mit dem Produzenten. Hierfür muss sich der potenzielle Kunde zunächst bei einer Marktschwärmerei anmelden. Auf der entsprechenden Internetseite kann der Kunde sich hernach das Angebot anschauen. Hier stellen die Erzeuger, die bei dieser Marktschwärmerei eingetragen sind, ihre Produkte vor. Der Einkauf erfolgt virtuell und von zu Hause aus, abgeholt werden die Waren dann an einem festgelegten Markttag. Hier begegnen sich Kunden und Erzeuger. In Brandenburg gibt es inzwischen acht Marktschwärmereien. Außer in Schönwalde kann auch in Baruth/Mark, Bernau bei Berlin, Eberswalde, Lychen, Oranienburg, Petershagen und Wildau auf den Markt geschwärmt werden.

Imker Sten König verkauft nicht nur Honig und Wachskerzen, er teilt auch gern sein Imker-Wissen
Foto: Silvia Passow

Nicht unbedingt Bio aber immer authentisch

In Schönwalde sind die Waren nicht unbedingt mit Bio-Siegel versehen. Keine Pestizide, keine Kunstdünger, lautet die Regel. Das Fleisch stammt von Tieren, die artgerecht gehalten wurden. Anders als bei anonymer Ware aus dem Supermarkt, kann der Kunde die Erzeuger vor Ort kennenlernen nach den Lebensbedingungen der Tiere fragen. In Schönwalde erzählt Clemens Stromeyer, vom Potsdamer Sauenhain, welche Schweinerassen er hält und was diese auszeichnet. Seine Schweine leben ganzjährig im Familienverband auf einer ehemaligen Obstplantage. Gerade für die Tierhalter ist das Prinzip der Marktschwärmerei ein großer Gewinn. Die vom Kunden angeforderte Menge ist schließlich bekannt. Durch die Vorbestellung wird auch klar, wann ein Schwein geschlachtet werden muss, um den Bedarf der Kunden zu decken. Es wird nicht auf Verdacht geschlachtet und hinterher vielleicht weggeworfen.

Kartoffel-Henry bringt die Kartoffel groß raus. Vielfältig in Farbe, Form und Geschmack, die Mischung aus verschiedenen Farben verleiht Kartoffelsalat ein ganz neues Outfit
Foto: Silvia Passow

Die Saison bestimmt das Angebot

Obst, Gemüse, Kräutern, Blumen, Eiern und Fleisch, verschiedene Sorten Wurst, Milch, Milchprodukte, Käse, Öl, Honig, Marmeladen, Wein, Tee, Backwaren und sogar Kleintierstreu und vieles mehr, sind im Sortiment zu finden. Wobei sich das Angebot nicht nur an der Nachfrage, sondern auch an der Jahreszeit orientiert. Das wird besonders bei der Obst- und Gemüseauswahl deutlich. Auch „Kartoffel-Henry“ mit seinen seltenen Kartoffelsorten aus denen sich ein Kartoffelsalat mit gelben, rosa und lilafarbenen Kartoffeln bereiten lässt, ist erst ab Spätsommer bis in den Herbst hinein, mit seinen Erdäpfeln anzutreffen.  Aktuell stehen mehr als dreihundert Produkte zur Auswahl. Die Marktschwärmerei Schönwalde bietet den Kunden und allen die es werden wollen, an jedem ersten Freitag im Montag einen Probiermarkttag an. Hier kann verkostet werden, was beim nächsten Einkauf vielleicht im Einkaufskorb landen soll.

Marktschwärmen ist entschleunigtes Einkaufen. Bewusste Kauf-Entscheidung statt auf Sonderangebote reagieren. Wer mag, kann den Einkauf mit einer Tasse Kaffee abschließen.
Foto: Silvia Passow

Infos zu den Marktschwärmern: https://marktschwaermer.de

Infos zur Marktschwärmerei Schönwalde: www.daslandgut.de

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